das konzept
jemand (in meiner vorstellung bin ich selbst dieser jemand) kommt in eine ausstellung, die interessantes verspricht: drei künstler/innen, donatella ausilia, luigi artificiello und gül tescheküler, garantiert aus dem ausland, zeigen das beste, was heutzutage aus papier zu machen ist. meine erwartungshaltung ist hoch. als ich zur vernissage komme, bin ich überrascht: in einer ausrangierten fabrikshalle finde ich folgendes szenario vor:
der gesamte raum ist abgedunkelt, der hofseitige eingang mit einem vorhang geschlossen. an der decke hängen dicht an dicht in drei segmente geteilt weiße papierflugzeuge, weiße papierschiffe und zeitungsfarbige papierhüte. bei betreten des raumes ist meine aufmerksamkeit jedoch durch entsprechende beleuchtung auf den zentralen teil der ausstellung gelenkt. es ist dies ein kleiner, mit fenstern versehener raum im raum. in diesem raum befinden sich nach dem klassischen sockel-glassturzprinzip drei arbeiten von jeweils einer der künstler/innen: ein papierflieger, gefaltet aus einer original leonardo da vinci skizze von ausilia donatella, ein papierschiff, gefaltet aus einer originalskizze von josef ressels schiffsschraube von gül tescheküler und ein papierhut, gefaltet aus jausenpapier von luigi artificiello. dieser raum ist an drei seiten mit dunklen stoffbahnen abgehängt, sodaß sich ein sehr elegantes ausstellungsambiente ergibt, das in deutlichem gegensatz zu dem ausrangierten und desolaten äußeren raum steht. die vorderseite zur ebenfalls verglasten eingangstür hin ist offen. davor befindet sich an zentraler stelle des großes raumes eine art podest. der äußere hauptraum ist anfänglich in dämmerlich getaucht, um die an der decke dicht an dicht hängenden flugzeuge, schiffe und hüte nicht zu sehr in den vordergrund zu heben. an den wänden des äußeren raumes hängen 2mx1m große holzrahmen, die mit vergrößerten bauanleitungen für modellflugzeuge bespannt sind. diese sind nur spärlich beleuchtet. es gib noch einen zweiten kleinen raum im raum, der direkt an den ersten anschließt. dieser ist geschlossen, die fenster sind mit weißem papier abgeklebt. er scheint nicht zur ausstellung zu gehören. ich sehe mich eine weile um und bin überrascht über den eigenartigen, intensiven eindruck, den diese installation auf mich ausübt. es scheint mir im hinblick auf das thema papier und die inszenatorische bezugnahme auf die räumlichkeiten eine äußerst konsequente, konzeptuelle und gelungene gemeinschaftsarbeit der drei künstler/innen zu sein.
der ausstellungraum füllt sich mit besuchern und mag. berzobohaty begrüßt mit etwas umständlichen worten die besucher. es ist der übliche blah-blah ohne den offensichtlich keine ausstellung auskommt. dann wird von dr. schrage die ausstellung offiziell eröffnet. irgendwie scheinen mir beide etwas seltsam zu sein. seltsam ist auch, dass ich nirgends die drei künstlerinnen erblicke. dr. schrage hat sie zwar vorgestellt, aber nicht direkt auf sie hingewiesen. ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt anwesend sind. dann übergibt dr. schrage das wort an dr. purdea, der zu den arbeiten einführende worte spricht. was anderes als das übliche geschwätz könnte man erwarten?
höflichkeitshalber nehme ich mir vor, alle eröffnenden und einführenden reden bis an ihr ende abzuwarten. wie erwartet ist die einführung mühsam und endlos lang. obwohl diese einführung permanent mit den üblichen einführungsphrasen über die kunst usw. die geduld der besucher strapaziert, kommen immer wieder passagen vor, die mir dennoch treffend, interessant, ja tiefsinnig vorkommen. allerdings gelingt es mir nicht, dieser rede wirklich zu folgen. sie ist voll von gedankensprüngen und ungereimtheiten. insgesamt äußerst seltsam und irritierend. plötzlich ein lauter zwischenruf aus dem publikum. jemand schreit "schwachsinn" oder "blödsinn", woraufhin mag. berzobohaty mit "ruhe dahinten!" antwortet. irgendwie gefallen mir solche eklats. der renitente besucher ist offensichtlich nicht so schnell zu beruhigen. nach einigen minuten beginnt er wieder dazwischen zu rufen und mag. berzobohaty antwortet ihm wieder mit "ruhe dahinten!". manche der besucher sind belustigt, manche verärgert. mir gefällts. der zwischenrufer gibt nicht auf. immer wieder unterbricht er mit seinen unmutsäußerungen die einführende rede. das stimmt allerdings nicht ganz. ich bewundere den dr. purdea. dieser lässt sich durch diese zwischenrufe in keinster weise von seinem vortrag abbringen. dann geschieht etwas merkwürdiges: mag. berzobohaty schreit aufeinmal "ruhe dahinten!", obwohl zu diesem zeitpunkt der zwischenrufer nichts gesagt hat. plötzlich fällt mir auf, dass in dem zweiten kleinen raum, dessen fenster mit papier abgedeckt sind, licht brennt. ich weiß nicht genau, ob das schon von anfang an so war, oder ob das jetzt erst eingeschaltet worden war. ich überlege noch, da schreit plötzlich ein zweiter besucher dazwischen. anscheinend ist das ansteckend. der zweite zwichenrufer regt sich allerdings weniger auf als der erste. er sagt etwas, das ich anfänglich nicht genau verstehe. jedenfalls redet er und redet und redet einfach unbeeindruckt und gleichzeitig mit dem eröffnungsredner irgendetwas über die bourgeoisie, die feudalbande usw. für einen moment herrscht völliges durcheinander. alle reden gleichzeitig. der eröffnungsredner, die zwei zwischenrufer aus dem publikum und mag. berzobohaty mit seinem vergeblichen "ruhe dahinten!". nach kurzem kommt mir jedoch der verdacht, dass es sich hier um eine geplante aktion handelt. eine dadaistische simultanvorführung. ja, das ist es!
jetzt beginne ich das ganze mit anderen augen zu sehen. die ausstellungseröffnung wird also als dadaistische performance inszeniert. keine schlechte idee, denke ich. so sind einfürhrungsreden wesentlich erträglicher. aus dem verschlossenen raum ertönt plötzlich ein undefinierbares lautes geräusch. ich frage mich, ob das auch zur inszenierung gehört. neben mir steht ein mann, der ein vielleicht fünfjähriges kind auf seinen schultern sitzen hat. das kind erreicht mit seinen händen die an der decke befestigten papierflieger und - wie kinder halt so sind - reißt es einen papierflieger herunter. der vater bemerkt es nicht oder tut zumindest so. fliegern wird es auf einen heruntergerissenen nicht ankommen. doch nach kurzem reißt das kind schon wieder einen flieger herunter, und nach ein paar weiteren minuten reißt es mit beiden händen gleich vier oder fünf flieger aufeinmal herunter. das geht zu weit, denke ich und nicht nur ich. eine frau, die das ebenfalls beobachtet hat, geht zu dem vater und sagt wahrscheinlich, dass er besser auf sein kind aufpassen soll. daraufhin nimmt der vater das kind von den schultern und geht. währenddessen hat zu dem ganzen simultanen durcheinander auch noch irgendwo musik zu spielen begonnen. das finde ich fast schon übertrieben. ich schaue mich etwas um und bemerke zu meinem größten erstaunen, dass eine frau begonnen hat, mit einem messer an den bildern herumzuschnipseln. langsam bin ich wieder verunsichert. gehört das jetzt dazu oder sind hier lauter vandalen unter den besuchern? ich komme nicht dazu mir wirklich gedanken darüber zu machen. ab jetzt geht alles schlag auf schlag: der vater mit der antiautoritären erziehung taucht plötzlich mit einem gartenrechen in der hand auf und räumt eine ganze ladung flugzeuge, schiffe und hüte von der decke, die musik wird allmählich lauter, die frau schneidet die bilder buchstäblich in fetzen, die tür zu dem bislang verschlossenen raum geht auf und drinnen sieht man einen fabrikstisch an dem drei fabriksarbeiterinen in schürzen papierflugzeuge, papierschiffe und papierhüte herstellen. in dem allgemeinen durcheinander werden auf einmal zwei waschmaschinen in den großen raum geschoben, mit großen steinen gefüllt und eingeschaltet, sodaß sie rumpelnd und ruckend bedrohliche zitterbewegungen aufführen. eine fabriksarbeiterin kommt mit einem korb voller papierflieger aus der fabrik und leert diesen zwischen die besucher. die musik wird lauter, hinter den bildern an den wänden beginnt es zu leben. elektrische handmixer haben sich hinter den bildern eingeschaltet und versuchen sich nun verzweifelt aus dem papier zu befreien. die musik steigert sich zu unertröglichen lärm, noch immer reden die redner und zwischenrufer, die decke ist fast schon leergefegt, die waschmischen brüllen, als plötzlich von einem moment auf den anderen alles verstummt. stille. hörbar, greifbar, manifest. anhalten dieses zustandes.
dann wird partymusik gespielt, als ob nie etwas gewesen wäre.
die kunstperformance "die kunst ist unsere heimat, fremd sind wir" thematisiert folgende aspekte:
  • eine als theater inszenierte kunstperformance, die formen des ausstellungsbetriebes reflektiert und persifliert, wobei sein und schein sich in ununterscheidbarer weise ineinander verschränken
  • konzeptuelles ineinandergreifen darstellender, bildender und musikalischer ausdrucksformen
  • thematisierung und gegenüberstellung von kunstprozeß und kunstobjekt im hinblick auf materialität, wertbeständigkeit und zeitlichkeit
  • simultanvortrag im sinne der dadaistischen tradition
  • provokation durch "störung einer rede", durch "politische agitation und kulturelle propaganda", durch "absurden irrationalismus", durch "fremdheit und seltsamkeit"
  • die herstellung und aufrechterhaltung der frage. das publikum wird durch die theatralische inszenierung einer ausstellungseröffnung in ein zentrales anliegen der kunst, der permanenten aufrechterhaltung und neuformulierung der frage, eingeführt. ziel ist ein angereicherter, aufgeladener fragezustand.
diese arbeiten werden in der als kollektiv erarbeiten die mitglieder von l'asam eine ausstellung zum thema "papier". papier einerseits als traditioneller werkstoff, andererseits als ausdruck von vergänglichkeit, fragilität und leichter zerstörbarkeit. üblichen ausstellungsmanier in einem ausstellungsraum präsentiert. als urheber der gezeigten arbeiten fungieren drei fiktive künstlerinnen. begrüßt, eröffnet und eingeführt wird die ausstellung nach einer vorgegeben partitur. ab einem bestimmten zeitpunkt setzen in form von zwischenrufen, zwischenreden, transformationen an den ausstellungsstücken und simultanhandlungen ein, die nach einem bestimmten rhythmus vom unbekannten in noch unbekannteres führen. mit beginn der vernissage setzt ein spiel von sein und schein, von fiktion und wirklichkeit ein, das einen prozeß zunehmender, entropischer verwirrung nach sich zieht und gegen ende der performance in einer gleichzeitigkeit von handlungen, reden, zwischenrufen und musikalischen einspielungen kulminiert. live zugespielte musik- und geräuscheinlagen und der lärm der elektrischen haushaltsgeräte ergibt eine akustische kulisse, zu der sich das decollagierte durcheinander der kunstwerke recht hübsch ausmacht. am höhepunkt bricht die performance abrupt ab und endet in befreiender stille. körperhafte stille erfüllt den raum, unterbrochen von verwirrten gesprächsfetzen der besucher. für einen moment herrscht bewegungslosigkeit. undurchdringlich, monolithisch und für alle sichtbar steht die frage im raum. dann wird eine stereoanlage aufgebaut und ein dj beginnt partymusik zu spielen. abgeschlossen wird das projekt "kunst ist unsere heimat, fremd sind wir" mit einer vollständigen dokumentation.